Wirft man einen Blick zurück, wird man feststellen, wie schwer es Medien häufig hatten. Bücher wurden verbrannt und der Fernseher belächelt. TV-Programm? Braucht kein Mensch, hieß es einst. Inzwischen ist die Flimmerkiste – die inzwischen zugegeben ziemlich flach ist und wenig mit ´ner Kiste gemeinsam hat – kaum noch wegzudenken. Fast jeder hat in unseren Breitengraden ein TV-Gerät bei sich daheim stehen und viele Menschen schalten regelmäßig ein, um Sendungen, Magazine, Serien oder Filme zu sehen. Darüber hinaus kann man auf dem Fernseher auch DVDs Blu-rays und Spiele schauen – beziehungsweise zocken.
Videospiele sind verglichen mit Medien wie Büchern noch eher jung. Entsprechend viele Diskussionen gab und gibt es auch über sie. In Deutschland galten Games lange als Killerspiele. Wurde öffentlich darüber gesprochen, war meist nur von Shootern und dem negativem Einfluss der sogenannten Killerspiele die Rede. Waren Games gar ein Thema im TV, „glänzten“ entsprechende Sendungen häufig mit schlechter Recherche, falschen Informationen und einer sehr voreingenommenen Präsentation. Einen traurigen Höhepunkt erreichte die Berichterstattung als RTL im Jahr 2011 über die gamescom berichtete. Gamern wurde unterstellt im Schlabberlook rumzulaufen und außerdem seien sie ja eher schlecht gepflegt und in der Regel Single. Die ganze Geschichte schlug schließlich so hohe Wellen, dass sich RTL öffentlich entschuldigte.
Im Jahr 2016 sieht die Situation allerdings schon anders aus. Natürlich gibt es auf dem Gebiet noch immer viel zu tun. Trotzdem finden Spiele immer mehr Anerkennung. Sie sind häufiger ein Thema in Fernsehsendungen, werden zunehmend neutral betrachtet und das Wort Killerspiele liest und hört man immer seltener. Auch der Kreis der Gamer ist heute ein ganz anderer, als noch vor 20 Jahren. Blicke ich in die Anfangszeiten meiner Zockerweibchen-Karriere zurück, fällt sofort ein krasser Unterschied zu heute auf. Zockende Mädels gab es kaum und überhaupt war es schwer, damals gleichgesinnte Menschen zu finden. In meinem Umkreis hatten zunächst nur wenige Menschen PC, Handheld oder Konsole. Spiele gab es bei uns lediglich im Musikladen zu kaufen, einige Jahre später dann auch im Spielzeuggeschäft.
Inzwischen kenne ich viele Leute, die zocken. Spiele erreichen heute sogar Leute wie Tanten von mir, meine Mom und Rentner-Paare, die sich in MMOs ihre Freizeit vertreiben. Ein solches Pärchen kenne ich zum Beispiel aus Guild Wars 2. Sogar im Supermarkt gibt es inzwischen eine kleine Auswahl an Videospielen. Darüber hinaus ist das Angebot an Spielen gigantisch und selbst für mich kaum noch zu überblicken. Dafür dürfte aber auch so ziemlich jeder etwas Passendes finden. Während ein Onkel von mir nach der Arbeit gern World of Tanks spielt, mag meine Mom nach Feierabend Gelegenheitsspiele, die sie kostenlos für ihr Android-Tablet herunterlädt und eine ehemalige Klassenkameradin spielt aktiv Spiele bei Facebook.
Spiele werden inzwischen von vielen Menschen konsumiert. Menschen unterschiedlichster Altersgruppen haben ihren Spaß damit und verbringen einen Teil ihrer Freizeit mit Games. Entsprechend breitgefächert sind da natürlich auch die Interessen. Während der eine damit zufrieden ist bei Bejeweled ein paar Steinchen zu kombinieren, suchen andere in Spielen wie Dark Souls möglichst viel Anspruch.
Einige würden jetzt vielleicht sagen aber früher war ja alles besser. Nein – behaupte ich. Ich bin sehr dankbar für den Wandel der letzten Jahre. Inzwischen gibt es auch Spiele wie That Day We Left und That Dragon, Cancer. Da nehme ich gern auch Spiele in Kauf, die mich so überhaupt nicht interessieren. Man kann eh nicht für jedes Spiel die richtige Zielgruppe sein. Aber ich finde es gut, an welche Themen sich Spiele inzwischen trauen.
That Day We Left greift die aktuelle Flüchtlingssituation auf und möchte die Geschichte einer Gruppe von Flüchtlingen erzählen. Da das Spiel noch nicht erhältlich ist, kann man über die Qualität derzeit freilich keine Aussage treffen. Die Haltung der Entwickler finde ich allerdings positiv. Man möchte weder eine Predigt halten, noch will man eine Seite wählen. Stattdessen soll sich der Spieler selbst ein Urteil bilden, was ich richtig gut finde.
That Dragon, Cancer erzählt die Geschichte einer kleinen Familie. Der Krebs hat den Eltern das Kind genommen. Ein kleiner Sohn, der vier Jahre gegen die tückische Krankheit gekämpft hat, ehe sein viel zu junges Leben schließlich ein Ende fand. Das Spiel hat Familie Green dabei geholfen, mit dem schweren Schicksalsschlag umzugehen. Gleichzeitig hat es anderen ermöglicht, einen kleinen Einblick in die Situation der Familie zu erhalten.
Natürlich sind gerade diese Spiele nicht selten auch sehr umstritten. Sie sprechen nur eine kleine Randgruppe an und sind für den Großteil der Gamer kaum bis gar nicht interessant. Trotzdem brauchen wir mehr davon. Spiele wie That Day We Left, That Dragon, Cancer oder auch Never Alone (Kisima Ingitchuna) zeigen, dass Games nicht zwangsläufig nur Unterhaltung sein müssen. Sie zeigen, dass auch Spiele ernstere und schwierige Themen aufgreifen können. Darüber hinaus machen sie Dinge spielbar, die sonst vielleicht für andere eher trocken und uninteressant wären. Wie viele junge Menschen hätten schon Interesse an einem Fachbuch über Krebs? That Dragon, Cancer macht das Thema erlebbar. In Never Alone (Kisima Ingitchuna) kann man einiges über Inuit und deren Einstellung zum Leben lernen und wird dabei sogar noch gut unterhalten.
Natürlich steht nicht jeder darauf, sich auf diese Art mit Inuit, Krebs oder Flüchtlingen zu befassen. Trotzdem sind solche Spiele eine tolle Ergänzung zu Büchern, Dokumentationen und Magazinen. Sie können das Interesse an den Themen wecken und eignen sich wunderbar, auch junge Menschen für entsprechende Themen zu begeistern. Eine prima Sache. Ich selbst habe früher sehr häufig Bücher wie Der Seidenfächer und Die roten Orchideen von Shanghai gelesen. Bücher wie diese waren es, die mich dazu bewegt haben anschließend über Dinge wie Lilienfüße und Trostfrauen zu recherchieren. Womöglich hätte ich nie von diesen Dingen erfahren, wäre ich nicht durch Romane – die ja auch keine Fachliteratur sind – darauf aufmerksam geworden.
Dinge wie Flüchtlinge und Krebs sind ohne Frage deutlich aktueller als Trostfrauen und Lotusfüße. Nichtsdestotrotz begrüße ich diese Themen in Videospielen und oute mich als Fan solcher eher düsteren und ernsten Titel. Zu meinen Höhepunkten 2016 gehört nach wie vor This War of Mine: The Little Ones. Obwohl man in den Nachrichten ständig mit Krieg konfrontiert wird, war das Spiel für mich eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Ich habe aufgewühlt das Haus eins virtuellen Rentnerpaares durchsucht und mit mir gerungen, ob ich ihr Leben aufs Spiel setzen soll, nur um die jungen Leben meiner Charaktere zu retten. Ist es in Ordnung ihnen Medikamente und Lebensmittel zu stehlen? Warum habe ich manchmal das Kind in meiner Gruppe verflucht, wenn meine Medikamente und Nahrungsmittel knapp wurden, nur weil die Kleine selbst nicht auf Streifzug gehen konnte? Dafür hat sie doch mit ihrer kindlichen Naivität immer wieder Sonnenschein in ein sonst trostloses Leben gebracht.
Am Ende sind diese Spiele freilich weit weg von der Realität. Der Krieg ist in der realen Welt um ein Vielfaches schlimmer und tragischer. Wahrscheinlich wird auch kein Spiel je im vollen Umfang vermitteln können, wie es sich anfühlt, wenn jemand in der Familie an Krebs erkrankt und daran stirbt. Müssen Spiele aber auch überhaupt nicht. Sie leisten bereits einen wichtigen Beitrag, wenn sie ihre Spieler mit diesen Themen konfrontieren. Diese Spiele zeigen, wie vielfältig das Medium ist. Spiele sind mehr als Killerspiele und oberflächliche Unterhaltung. Mein Dank gilt all den mutigen Entwicklern und Publishern dort draußen. Dank ihnen kann man sich auch eher unkonventionell mit anspruchsvolleren Themen befassen.