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Ghost of Tsushima Review

Verteidiger ohne Furcht

Ghost of Tsushima erzählt eine Geschichte voller Konflikte. Als historische Basis dient die Mongoleninvasion in Japan. Im Fokus steht daneben jedoch ein weiterer Konflikt. Der Protagonist Jin Sakai ist ein Samurai, der sich gezwungen sieht den Gräueln des Krieges mit Methoden zu begegnen, die die Samurai verachten und die als unehrenhaft gelten. Kann er mit vertrauter Tradition brechen und das Neue annehmen?

Eine solche Invasion ist ein brutaler Akt und so ist auch das Spiel an mancher Stelle brutal. Entwickler Sucker Punch hat jedoch darauf verzichtet, eine Gewaltorgie aus dem Spiel zu machen. Zwar gibt es einige sehr explizite Szenen, doch das Spiel ist nicht auf Gewalt aufgebaut. Im Gegenteil, es hält sich damit vornehm zurück. Wirklich sehr explizite Gewaltdarstellungen werden nur selten eingesetzt. Ähnlich, wie in einem guten Kriegsfilm. Auch ein solcher braucht nicht an jeder Ecke Schusswechsel, wehrlos abgeschlachtete Kinder und missbrauchte Frauen, um das Grauen bildlich darzustellen.

Sehen wir uns dafür ein Beispiel aus dem Spiel an. In einer von zahlreichen Nebenquests bittet euch ein verzweifelter Händler um Hilfe. Er wollte seine Frau und das Kind auf das Festland bringen lassen, um sie in Sicherheit zu wissen. Ihr findet die beiden schließlich. Sie haben es nie auch nur in die Nähe des Festlandes geschafft und wurden stattdessen getötet. Für die Dramaturgie ist es nicht nötig, den Spieler Zeuge der Tötungen werden zu lassen oder einen genauen Blick auf die Leichname der Opfer zu gewähren. Natürlich handelt es sich letztlich in diesem Fall nur um Pixel, aber deren Würde – wenn man so möchte – tastet das Spiel nicht an. Stattdessen verdeutlicht das Spiel die Grausamkeit, indem es euch ein Spielzeug des Kindes finden lässt und euch mit der Aufgabe betraut, dieses dem Vater zu überbringen. Der stumme Zeuge der Gräueltaten und die Verzweiflung des Mannes sind genug, um zu berühren.

Natürlich kommt es stellenweise zu deutlich bildlicheren Darstellungen von Gewalt und Blutvergießen. Vor allem in der Hauptstory des Spiels. Diese Szenen sind aber nur eines von vielen Erzählmitteln. Sucker Punch stellt die Invasion mit viel Fingerspitzengefühl dar.

Ihr habt mehrere Möglichkeiten, den Invasoren zu begegnen. Ihr könnt den offenen Kampf suchen und von Angesicht zu Angesicht mit den Gegnern kämpfen. In dem Fall kommt vor allem ein Katana zum Einsatz. Das Gameplay mit Katana fühlt sich gut und glaubhaft an. Gleichzeitig verzeiht der offene Kampf jedoch wenig Fehler und verlangt von euch, ihn zu meistern. Ohne Blocken, Parieren und Ausweichen kommt ihr im Nahkampf nicht weit. Vor allem, wenn ihr es nicht nur mit einigen Mongolen zu tun habt, die ein schlichtes Schwert führen. Spätestens wenn ein schwer gepanzerter Anführer, Speerkämpfer, Axtkämpfer und Mongolen mit Schild im Spiel sind, wird es schnell ungemütlich, wenn ihr euch von Gegnern umzingelt seht.

Im Spielverlauf wird Jin immer mehr zum Geist von Tsushima. Mit Rauchbomben kann er seinen Rückzug tarnen oder die Gelegenheit zu einem Attentat schaffen. Ein geworfenes Kunai kann den Gegner überraschen, ins Taumeln bringen oder gar aus dem Nichts töten. Eine Windglocke ist in der Lage, Gegner an einen gewünschten Ort zu locken, wo sie dann wie auf dem Präsentierteller ihr Schicksal ereilt. Zu Beginn des Spiels sind eure Möglichkeiten noch stark begrenzt. Im Spielverlauf erlernt ihr mehrere Kampfhaltungen und schaltet die erwähnten und weitere Geistwaffen frei.

Der Schwierigkeitsgrad ist nicht mit einem Dark Souls zu vergleichen, gerade zu Spielbeginn aber nicht ohne. Die Geistwaffen vereinfachen die Sache, da ihr aus der Deckung heraus und einzeln die Gegner ausschalten könnt. Deren KI ist zudem nicht überragend. So spielt es etwa überhaupt keine Rolle, ob ihr beim Eindringen in ein mongolisches Lager Spuren eurer Arbeit hinterlasst. Ihr müsst keine reglosen Körper verstecken und ein Rückzug ist oft unkompliziert möglich. Dennoch braucht ihr, auch wenn ihr die Methoden eines Geistes verwendet, etwas Geschick und müsst zum Beispiel darauf achten, nicht im Sichtfeld von Gegnern zu stehen.

In vielen Situationen überlässt das Spiel euch die Wahl, wie ihr vorgehen möchtet. Im Verlaufe der Zeit wird der offene Kampf dank besserer Ausrüstung, Kampfhaltungen und mehr Lebenspunkten deutlich einfacher. Dies gilt auch für den Kampf als Geist. So könnt ihr etwa die Tragekapazität der Geistwaffen erhöhen. Stellenweise zwingt euch das Spiel jedoch zu dieser oder jener Option. So gibt es zum Beispiel Missionen, in denen ihr nicht gesehen werden dürft. Mit offener Konfrontation kommt ihr hier kaum weit. Das Gegenstück dazu stellen Duelle dar, die zum Beispiel bei Bosskämpfen zum Einsatz kommen. Geistwaffen sind in diesen nicht verfügbar. Stattdessen müsst ihr zum Katana greifen und damit euer Geschick unter Beweis stellen. Mit dem Geist-Gameplay und auch einigen anderen Aspekten erinnert das Spiel stellenweise an Assassin’s Creed.

Zwar erweitert sich das Kampfsystem im Spielverlauf, es bleibt jedoch gut beherrschbar. So müsst ihr etwa nicht zielen, wenn ihr Kunai, Rauchbombe und Co. verwendet. Auch funktioniert der Wechsel zwischen den vier Kampfhaltungen unkompliziert und jederzeit. Ihr könnt selbst mitten in einem Angriff zwischen zwei Haltungen wechseln. Etwas fummelig wird es, wenn ihr mitten in einem Kampf versucht Objekte aufzunehmen. Dies funktioniert nicht immer reibungslos, wenn Jin in Bewegung ist.

Das Spiel setzt zudem voraus, dass ihr euch mit seinen Mechaniken vertraut macht. So gibt es etwa keine Anzeige, wenn ein Gegner außer Wurfreichweite ist. Ihr müsst selbst ein Gefühl dafür entwickeln, welche Entfernungen eure Wurfgeschosse zurücklegen können.

Generell verzichtet Ghost of Tsushima darauf, den Bildschirm mit visuellen Hilfen vollzukleistern. Als Orientierung dient euch der Wind, der euch zu Zielen führt. Er fügt sich nahtlos in die Spielwelt ein und sticht nicht störend hervor. Angriffe, die ihr nicht blocken könnt, werden durch dezentes farbiges Leuchten dargestellt. Den Kämpfen muss stets ein angemessenes Maß an Aufmerksamkeit geschenkt werden. Neben den dezent leuchtenden Angriffen verraten euch Animationen, was der Gegner vorhat. Bogenschützen stoßen einen Schrei aus, ehe sie einen Pfeil in eure Richtung abgeben. Greift ein Gegner zum Horn, macht er nahe Verbündete auf euren Angriff aufmerksam. Es gilt derlei Details im Blick zu haben und aufmerksam auf Geräusche zu achten, um den Überblick über das Kampfgeschehen zu behalten.

Dieser Minimalismus gehört für mich zu den Stärken des Spiels. Auch das HUD ist sehr dezent und in vielen Situationen gar nicht erst zu sehen. Daher lenkt kaum etwas vom Spielgeschehen, der wunderschönen Spielwelt und der Geschichte ab. Über die Einstellungen gibt es einige Barrierefreiheit-Einstellungen. Diese sind jedoch überschaubar.

Neben einer Vielzahl an Möglichkeiten, die sich euch direkt bieten, könnt ihr die Umgebung zu eurem Vorteil nutzen. Hohes Gras bietet Deckung, Feuer lässt sich gegen den Feind verwenden und aus dem Wasser heraus könnt ihr euch unbemerkt annähern. Mit einem Pfeil könnt ihr beispielsweise in ein Hornisennest schießen, um nahe Gegner zu beschäftigen. Feuer lässt aus einem Pfeil einen Brandpfeil werden, ohne einen solchen zu verwenden.

Doch nicht nur euch stehen im Laufe der Zeit neue Möglichkeiten zur Verfügung. Habt ihr es zunächst noch mit vielen einfach bewaffneten Gegnern zu tun, die primitive Pfeile und Schwerter verwenden, erwarten euch später Sperrkämpfer mit hoher Reichweite, Gegner mit Schusswaffen, Feinde die euch mit Bomben bewerfen, Wachhunde und Raubvögel die Alarm schlagen und mehr. Lästig sind auch Gegner mit Feuerpfeilen. Grundsätzlich können euch Pfeile nicht viel anhaben. Ein einzelener Treffer ist kein Drama. Gerät eure Rüstung mitten in einer Gruppe schwer bewaffneter Gegner in Brand, wird es jedoch schnell ungemütlich. Nicht nur Feuerpfeile werden euch im späteren Verlauf des Spiels um die Ohren fliegen. Auch im Nahkampf trefft ihr auf Gegner, die euch mit Feuer das Leben schwer machen.

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