Vampyr Review

Vampyr Review

Entwickler:         Dontnod Entertainment
Publisher:          Focus Home Interactive
Genre:              Action-Adventure
Plattformen:        PC, PlayStation 4, Xbox One
Preis:              ca. 49,99 Euro 
Offizielle Website: http://www.vampyr-game.com/

Welchen Wert hat ein Menschenleben?

Für mein Vampyr Review bin ich zum Blutsauger geworden. Ich habe mir das Spiel auf der PlayStation 4 Pro genauer angesehen und bin in die Haut von Dr. Reid geschlüpft. Gleich zu Spielbeginn überraschte mich das Game mit einer interessanten Meldung. Dort hieß es, mein Verhalten bestimmt den Schwierigkeitsgrad. Je mehr Menschen ich töte, desto einfacher wird es. Puh, gleich ein solcher Hammer zu Spielbeginn. Sofort appellierte mein Gewissen an mich – töte nicht, halt dich zurück, sei friedlich! Pah, so viel zur Theorie.

In der Praxis stellte sich mir schon bald die Frage, warum manche Menschenleben in Vampyr offenbar mehr wert sind als andere. Schnell wird klar, dass das Spiel zu Beginn nur die halbe Wahrheit gesagt hat. Ich kann konsequenzlos so viel Blut saugen, wie ich möchte – wenn es von den „richtigen“ Personen kommt. Im Kampf ist Blutsaugen sogar ein wichtiges Element. Nur wenn ich die NPCs mit Namen angehe, bekomme ich Probleme. Warum sind meine Gegenspieler scheinbar wortlos?

So ähnlich ergeht es auch dem Rest vom Spiel. Doch beginnen wir ganz vorn. In Vampyr schlüpft ihr in die Rolle von Doktor Jonathan Reid. Die Handlung spielt in London und wir schreiben das Jahr 1918. Die spanische Grippe wütet und kostet Millionen Menschen das Leben. London hat allerdings noch ein ganz anderes Problem. Des Nachts – so sagen die Einwohner – geht ein grausamer Mörder umher. Im Morgengrauen tauchen dann blutige Leichen auf, die Bisswunden am Hals aufweisen. London hat ein Vampirproblem! Direkt davon betroffen ist auch Dr. Reid, der zu Spielbeginn seine ersten Momente als Vampir erlebt. Die örtliche Polizei macht Jagd auf Reid und ihr versucht zu entkommen. Jagd ist ein gutes Stichwort. Ihr jagt den Mann, der offenbar für euer Dasein als Vampir verantwortlich ist und bereist dafür mehrre Stadteile von London.

Schon in den ersten Minuten wird klar, wie unsinnig die Aussage zu Spielbeginn ist. Kaum werde ich mit den ersten Gegnern konfrontiert, möchte ich instinktiv einfach die Flucht ergreifen. Schließlich hatte ich mir vorgenommen, niemanden zu töten. Nichts da. Das Spiel lässt mir keine Wahl und so werde ich schließlich gezwungenermaßen zum Mörder. Schnell wird klar, wie wichtig das Blutsaugen für den Rest des Spiels sein wird. Eine Leiste zeigt an, wie viel Blut der Spieler gerade zur Verfügung hat. Ist die Leiste nicht leer, könnt ihr euch heilen. Geht euch das Blut aus, lässt sich dieses rasch wieder auffüllen. Dafür saugt ihr einfach ein paar Gegner aus. Währendessen sehen euch andere Feinde einfach tatenlos zu. Dabei gehört es nicht zu den Fähigkeiten von Dr. Reid, die Zeit einfrieren zu können.

Unglücklicherweise bleiben eure Widersacher sehr blass und gesichtslos. Diese jagen euch, weil sie offensichtlich ein Problem mit Blutsaugern haben. Viel mehr wird aber auch im Spielverlauf nicht darauf eingegangen. Schade! Eure Feinde bleiben – bis auf größere Gegner – namenlos und unbedeutende Randnotizen. Dabei glänzt das Spiel in Sachen NPCs.

Wenn ihr nicht gerade kämpft, begegnet ihr zahlreichen Charakteren mit Namen und ausführlicher Hintergrundgeschichte. Da sind zum Beispiel die Krankenschwestern und Ärzte in der Klinik, in der Dr. Reid schon kurz nach Spielbeginn Arbeit und Unterschlupf findet – obwohl er ein Vampir ist. In Gesprächen findet ihr mehr über die Charaktere heraus, wobei ihr nicht selten etwas über andere Menschen erfahrt. Darüber hinaus werdet ihr in der Spielwelt immer wieder Hinweise finden, wenn ihr mit offenem Blick durch London zieht. So lässt sich zum Beispiel von einer Person die Geldbörse finden, in der ein Foto ist. Dieses enthüllt eine verbotene Liebe. Je aufmerksamer ihr durch die Welt geht und je mehr Gespräche ihr führt, desto mehr Gesprächsoptionen ergeben sich. So habe ich zum Beispiel bei einem Auftrag für eine Krankenschwester einen alten Bericht finden können und die dazugehörige Leiche. Dabei fiel ein ärztlicher Fehler auf. Selbst Arzt konnte ich schließlich den Kollegen damit konfrontieren.

Die Dialoge von Vampyr sind für mich der beste Teil des Spiels. Ihr könnt häufig entscheiden, wie ihr reagieren möchtet. Erklärt ihr euer Gegenüber lieber für verrückt oder schenkt ihr der Person glauben? Droht ihr einer Person oder teilt ihr ein Geheimnis? Wenn ihr den Personen in eurer Umgebung Beachtung schenkt, werdet ihr etliche Nebenmissionen finden. Vorausgesetzt, die Personen leben lang genug. Ihr könnt nämlich nicht nur Patienten heilen, sondern auch sämtliche Personen mit Namen aussaugen. Dafür lockt ihr sie einfach an einen abgelegenen Ort und beißt zu. Mhhh, lecker – oder doch nicht?

Unglücklicherweise tut dies den Vierteln, in dem die Personen leben, nicht gut. Tötet ihr zu viele dieser Charaktere, könnte dies zu einem größeren Problem werden. Doch es gibt durchaus guten Grund die Menschen auszusaugen. Sie locken euch durch eine hohe Anzahl an Erfahrungspunkten, die sogar steigen kann. Findet ihr Hinweise zu einer Person, erhöht sich die Menge möglicher Erfahrungspunkte. Das Spiel bringt euch also in Versuchung. Werdet ihr den Punkten verfallen und zum eiskalten Mörder oder wird am Ende Dr. Reid die Oberhand behalten, der ein Mittel gegen die Vampirseuche sucht?

Vampyr Screenshot 05

Zwischen genial und durchwachsen

Ach Vampyr, warum tust du dich nur so schwer? Es gibt diese Momente, da ist das Spiel geradezu genial. Die Tatsache, dass jeder wichtige NPC eine eigene Geschichte zu erzählen hat, ihr euch viele Details erst erarbeiten müsst und Vertrauen gewonnen werden möchte ist grandios. Auch der moralische Konflikt der durch den Anreiz der Erfahrungspunkte entsteht überzeugt. Kaum ein Spiel hat so viele so detailliert ausgearbeitete Charaktere, von denen viele untereinander Verbindungen haben. Wenn ihr euch mit ihnen befassen möchtet. Egal wie wichtig ein NPC ist – ihr könnt die Personen töten. Dabei verpasst ihr ganze Handlungsstränge – erhaltet aber Tausende Erfahrungspunkte für einen kurzen Biss.

Wären da nur nicht die Schattenseiten des Spiels. Gelegentlich erweckt der Titel den Eindruck, als wäre einiges der Schere zum Opfer gefallen. Die Schere dürfte bei so ziemlich jedem Spiel vor Veröffentlichung angesetzt werden. Nur merkt ihr in Vampyr gelegentlich, wo diese zum Einsatz kommen musste. Manche Dialoge wollen einfach nicht ins Bild oder zu euren Handlungen passen. Schade!

Auch das Kampfsystem ist nicht gerade eine Wucht. Im Gegenteil – die Kampfpassagen haben mich ziemlich gestört. Gerade zu Spielbeginn empfand ich die Kämpfe als frustrierend und Dr. Reid ist für meinen Geschmack manchmal zu schwerfällig. Ich hätte auf die Kampfabschnitte gut und gerne verzichten können und lieber ein reines Adventure gespielt. Ihr haut oder schießt auf die Gegner, saugt immer Mal ein bisschen Blut und achtet dabei auf eure Ausdauer. Die Kämpfe sind für mich nur störendes Beiwerk. Ein notwendiges Übel, um die gelungene Geschichte und das tolle Setting weiter genießen zu können. Zwischen den Kämpfen sammelt ihr Material auf, um an einer Werkbank neue Waffen, Heilmittel und andere Dinge herzustellen. Zünden mag aber auch das Crafting-System nicht wirklich.

Auch aus technischer Sicht kann das Spiel nur bedingt überzeugen. Einerseits ist da die grandios in Szene gesetzte Kulisse. Auf der anderen Seite sind da Framerateinbrüche und teilweise merkwürdige Animationen. Immerhin der Soundtrack macht seine Sache richtig gut – ohne Wenn und Aber.

In einer Sache ist Vampyr zweifelsohne gut – es spaltet den Spieler. Einerseits macht das Spiel Dinge sehr überzeugend, andererseits lässt es den Spieler kopfschüttelnd zurück. Ohne jeden Zweifel wird das Spiel trotz Ecken und Kanten seine Fans finden. Das Game macht es dem Spieler allerdings auch einfach, es nicht zu mögen. Gerade das Kampfsystem und die technischen Probleme haben viel Potenzial, Gamer zu vergraulen. Was ich sehr schade finde, da der Kern richtig gelungen ist.

Dr. Reid ist ein sehr spannender Charakter, der wunderbar in die Rolle des Protagonisten passt. Einerseits ist Jonathan ein Arzt, der auf der Suche nach einem Heilmittel ist und anderen Menschen das Leben retten kann – auf der anderen hat auch er ein Verlangen nach Blut. Schließlich wird er zu Spielbeginn zu einem Vampir. Wie sehr er darunter leiden muss, führt uns das Spiel in einigen schonungslosen Szenen vor Augen. Erzählerisch ist das Spiel überzeugend. Bedauerlicherweise wollten die Entwickler mehr als nur eine gute Erzählung liefern und scheitern daran. Das Kampfsystem erfüllt seinen Zweck – macht aber wenig Spaß. Die Entwicklungsarbeit und die Möglichkeit Mitmenschen zu heilen macht da schon mehr Spaß. Trotzdem ist das Spiel auch hier manchmal zu oberflächlich.

Vampyr Screenshot 06

Mein Fazit:

Mit Vampyr ist in dieser Woche ein Spiel erschienen, welches wohl noch eine Weile für viel Gesprächsstoff sorgen wird. Auf der einen Seite begeistert das Spiel mit einem tollen Protagonisten und großartigen Nebenfiguren – auf der anderen setzt es dem Spieler ein mageres Kampfsystem vor. Warum haben die Macher nicht ein Adventure aus dem Spiel gemacht und das langweilige Kampfsystem über Bord geworfen? Auch technisch ist noch ein wenig Feinschliff nötig. Die Framerate bleibt nicht immer stabil. Diese technischen Makel lassen sich allerdings mit Updates beheben.

Wenn ihr euch mit dem mäßigen Kampfsystem arrangieren könnt und über einige Logikfehler hinwegsehen wollt, könnt ihr euch dennoch auf ein unterhaltsames Spiel freuen. Neben Dr. Reid ist ganz klar die Stadt London der Star. Die Inszenierung der von der Spanischen Grippe gezeichneten Metropole ist gelungen. Die verschiedenen Stadteile die im Spiel begehbar sind sorgen für die nötige Abwechslung. Untermalt wird die düstere Stimmung von einem gelungenen Soundtrack.

Ich betrachte meine Zeit mit Vampyr mit sehr gemischten Gefühlen und hoffe, die Entwickler bessern in den kommenden Monaten mit einigen Updates noch nach. Das Spiel hat es verdient.


Bildquelle: DONTNOD Entertainment

Offenlegung: Für dieses Review hat mir Koch Media die PlayStation 4-Version zur Verfügung gestellt.

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