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Chained Echoes Review

Entwickler:         Matthias Linda
Publisher:          Deck 13 Spotlight, PR Hound
Genre:              rundenbasiertes Rollenspiel, 16-bit, Indie
Plattformen:        Nintendo Switch, PC, PS 4/5, Xbox One / Series X|S
Preis:              ca. 24,99 Euro 
Sprachen:           Deutsch, Englisch, Französisch, Koreanisch

Raus aus der Komfortzone

Ein Rollenspiel im Alleingang entwickeln? Klingt irgendwie wahnsinnig. Matthias Linda hat sich glücklicherweise nicht davon abbringen lassen und beschert uns zum Jahresende mit Chained Echoes noch ein echtes Highlight. Sieben Jahre hat er an dem Projekt gearbeitet und – so viel wird beim Spielen offensichtlich – jede Menge Herzblut reingesteckt. Gut Ding will eben Weile haben und rausgekommen ist hier wahrlich etwas Gutes.

Worum geht´s? In Chained Echoes verschlägt es euch auf den Kontinent Valandis, in dem drei Königreiche auf eine blutige und kriegerische Geschichte zurückblicken. Der Frieden steht auf wackeligen Beinen und so manche Partei scheint lieber erneut zu den Waffen greifen zu wollen. Hier kommt ihr ins Spiel, besser gesagt Protagonist Glenn. Gemeinsam mit seinen Gefährten und Gefährtinnen kämpft er für den Frieden. Begleitet werdet ihr unter anderem von einer Diebin, die sich mehr oder weniger freiwillig an eurer Seite befindet, einer Prinzessin, die die Welt mit eigenen Augen sehen möchte und ihrem treuen Begleiter. Dabei ist längst nicht alles, wie es zunächst scheint. Das Spiel überrascht mit zahlreichen Wendungen.

Die Geschichte wird gelegentlich von Szenen unterbrochen, in denen auf andere Charaktere und Schauplätze geschwenkt wird. Rückblenden vervollständigen das Bild. Dabei stellt sich bisweilen die Frage, ob ihr tatsächlich die Absichten all eurer Gefährten kennt. Sowohl Geschichte als auch Charaktere können überzeugen. Die Figuren mögen teilweise recht klischeehaft sein, die Erzählung weiß allerdings zu gefallen.

Es gibt viele Dinge, die sich bei Chained Echoes loben lassen. Mein persönliches Highlight ist zweifelsfrei das Kampfsystem mit seinem Drumherum. In den ersten Spielstunden habe ich gewohnheitsmäßig mit den Kämpfen rumexperimentiert, in dem Bestreben, meine Party zu leveln. Nichts da! Eure Figuren haben keine Stufe. Ihr könnt einfach durch das Game zocken und seid immer bereit für den nächsten Kampf. Läuft es in einem solchen nicht gut, liegt es hier nicht etwa an fehlenden Stufen, sondern an eurer Taktik. Jeder Kampf im Spiel erfordert eure Aufmerksamkeit, was erfrischend ist. Kennt ihr es, wenn ihr fast schon mechanisch durch ein Rollenspiel stapft und die A-Taste malträtiert, weil ihr die meisten Kämpfe mit stumpfen Standardangriffen erledigen könnt und nur bei wenigen härteren Gegnern den Rest der Spielmechaniken entstauben müsst? Aus dieser Komfortzone zerrt euch Chained Echoes raus.

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Jeder Gegner, jede Gegnergruppe kann euch in die Schranken weisen, wenn ihr euch unüberlegt durch die rundenbasierten Kämpfe klickt. Stattdessen gilt es, Schwächen auszunutzen, Stärken auszuspielen und die verschiedenen Figuren geschickt zu nutzen. Diesbezüglich ist das Spiel relativ klassisch. Es gibt körperlichen Schaden, Magie, Flächenangriffe, Unterstützungstalente und Zustände. Die verschiedenen Charaktere nehmen dabei klassische Rollen ein. Einige fungieren als Magier, andere als Supporter oder Angreifer, die körperlichen Schaden zufügen.

Herzstück des Kampfsystems ist das sogenannte Overdrive-System. Am oberen Bildschirmrand habt ihr eine Overdrive-Leiste und einen Zeiger. Der verändert seine Position mit den Aktionen in den Kämpfen. Kommt ihr in den grünen Overdrive-Bereich, macht ihr besonders viel Schaden und steckt selbst weniger ein. Ihr solltet also versuchen, innerhalb dieses Bereiches zu bleiben. Dafür ist Taktik nötig, sonst straft euch das Spiel mit dem Overheat-Modus.

Ihr könnt natürlich trotzdem ein wenig Einfluss ausüben. So habt ihr etwa die Möglichkeit Talente zu erlernen, Werte zu verbessern und könnt eure Ausrüstung verbessern. Die Punkte und Materialien dafür erhaltet ihr unter anderem aus Kämpfen und Schatzkisten. Grind lohnt sich dafür allerdings nicht. Der ist auch nicht nötig, da die Balance der Kämpfe gelungen ist. Es gibt einige Kämpfe, die banal sind und einige, die wenig Fehler verzeihen. Unfair sind die Kämpfe aber nicht und in den allerwenigsten Fällen kinderleicht.

Es ist zwar nicht möglich zu überleveln, ihr habt jedoch einige Einstellungsmöglichkeiten, um den Schwierigkeitsgrad anzupassen. Möglich ist dies in beide Richtungen. So lässt sich zum Beispiel die Overdrive-Anzeige vergrößern oder verkleinern. Vergrößert ihr diese, werden die Kämpfe einfacher. Im Prinzip könntet ihr sogar Punkte für neue Talente farmen, dies ist aber mühsam und unnötig. Das Spieldesign ist schlicht nicht auf derlei Grind ausgelegt, auch wenn ihr dies vielleicht aus anderen (J)RPGs gewohnt seid. Es genügt, die Mechaniken zu verwenden und gelegentlich die Ausrüstung auf den neuesten Stand zu bringen. Ein Talent mehr rettet euch nicht den Hintern, wenn ihr die Spielmechaniken nicht verwendet, ihr werft mit dem Versuch zu Farmen höchstens Zeit aus dem Fenster.

In Chained Echoes verlangen die Kämpfe zwar fast ausnahmslos Strategie, das Spiel bietet euch allerdings auch diverse Quality of Life-Funktionen, die Frust verhindern, solltet ihr eine neue Gegnerart oder einen der zahlreichen Bosse nicht auf Anhieb bezwingen können. Verliert ihr einen Kampf, könnt ihr diesen wiederholen und im Vorfeld Aufstellung und Ausrüstung ändern. Manchmal genügt es, die Party leicht zu verändern oder das Pairing der Figuren zu optimieren. Neben den vier aktiven Party-Mitgliedern könnt ihr jeder Figur eine weitere zur Seite stellen und diese innerhalb der Kämpfe die Rollen tauschen lassen. So können sich zum Beispiel Support und Heilung gut ergänzen, da ihr zu Beginn vieler Kämpfe noch keine Heilung benötigt, Support euer Vorhaben zu gewinnen aber beschleunigt. Heiler oder Supporter ergänzen sich auch hervorragend mit Kampfkraft. Habt ihr mit einem Support-Charakter eure Buffs gewirkt, könnt ihr auf Schaden wechseln. Ein nettes Feature, welches dem Kampfsystem zusätzliche Tiefe verleiht. Apropos Quality of Life – Zufallskämpfe gibt es nicht. Ihr seht die Gegner in der Spielwelt fast immer. Zu den wenigen Ausnahmen gehören zum Beispiel Bosse, wobei sich auch diese vorher oft ankündigen.

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Langeweile lässt Chained Echoes nicht aufkommen. Dafür sorgt nicht nur das gelungene Kampfsystem. Im Verlauf der Story seid ihr gelegentlich zur Änderung eurer Party gezwungen, zum Beispiel weil ihr einige Abschnitte nur mit einer oder bestimmten Figuren spielen könnt. Dazu kommen immer wieder neue Gameplay-Ideen. So durchquert ihr etwa eine Miene, bei der ihr nicht nur Kämpfen, sondern auch die Karte im Auge behalten müsst. Mit Angriffen stellt ihr wenn nötig Weichen um. Wählt ihr den Weg geschickt, bringt euch dies Vorteile. Im schlimmsten Fall endet ihr in einer tödlichen Sackgasse.

In einer anderen Region müsst ihr Pilze beträufeln, die dadurch wachsen und so nach und nach neue Wege eröffnen. Dieses Areal ist also etwas rätsellastiger. Im späteren Spielverlauf erhaltet ihr zudem euer Luftschiff und eine Himmelsrüstung und damit Zugriff auf neue Gameplay-Mechaniken. Es ist erstaunlich, wie erfrischend dieses Spiel ist. So manches AAA-Spiel ist nicht ansatzweise so kreativ und ihr rennt schon nach wenigen Spielstunden stumpf durch, weil sich die Gameplaymechaniken längst abgenutzt haben. Chained Echoes weiß immer wieder mit neuen Impulsen zu begeistern und fühlt sich auch nach zig Spielstunden noch frisch an.

Ein weiteres tolles Feature sind die Herausforderungen, die es für die einzelnen Spielbereiche gibt. Erfüllt ihr diese, könnt ihr euch Belohnungen verdienen. Die Spielwelt ist dafür in ein Raster unterteilt und ihr könnt in eurem Logbuch prüfen, was zu tun ist. Dabei ist es möglich, diese Herausforderungen in Ketten zu erfüllen.

Klingt alles zu gut, um wahr zu sein? Natürlich ist auch Chained Echoes nicht perfekt, aber es ist nah dran. Die Balance ist nicht immer zu 100 % ausgeglichen. Die ersten Kämpfe mit der Himmelsrüstung sind zum Beispiel banal. Hier und dort verirrt sich in die Dialoge ein Rechtschreibfehler oder ein englischer Textschnipsel. Der größte Wermutstropfen ist das Auto-Save Feature. Dieses funktionierte bei mir nur in den ersten Spielstunden. In der Theorie speichert das Spiel häufig. Wollt ihr einen Kampf aufgeben statt zu wiederholen, verliert ihr also nichts an Fortschritt, was der Rede wert wäre. So denn dieses Feature funktioniert – ansonsten müsst ihr regelmäßig manuell speichern! Hier und dort gibt es Kämpfe, zu denen ihr später via Schnellreise zurückkehren solltet. Ein funktionierendes Autosave wäre also toll gewesen. Ein weiterer Wermutstropfen ist die Tatsache, dass das Spiel zwar neue Mechaniken mit Einführungen erläutert, ihr die aber bei Bedarf nicht erneut aufrufen könnt. Einmal weggeklickt, sind sie verschwunden. Ihr solltet euch also nicht voreilig durch diese Anleitungen klicken. Ihr könnt zwar die Steuerung nachsehen, aber nicht die Erläuterungen zu den Spielmechaniken.

Mein Fazit:

Es braucht weder schwindelerregende Summen Budget, noch benötigt es ein gewaltiges Team, um ein hervorragendes Rollenspiel zu entwickeln. Spätestens mit Chained Echoes hat Entwickler Matthias Linda dies unter Beweis gestellt. Das Spiel bietet einen fantastischen Mix aus 16-bit-Charme und frischen Elementen. Herausgekommen ist das vermutlich beste Rollenspiel seit Elden Ring.

Chained Echoes hat eine Menge frische Ideen an Bord und sticht damit hervor. Gleichzeitig zerrte es mich raus aus meiner RPG-Komfortzone. Ihr spammt euch weder mit Standardangriffen durch dieses Spiel, noch könnt ihr es durch stumpfen Grind irgendwie entschärfen, eure Figuren haben keine Level. Jeder Kampf erfordert eure Aufmerksamkeit. Gleichzeitig bietet das Spiel so manchen modernen Komfort. Ihr könnt fast immer speichern und Zufallskämpfe gibt es nicht. Klassische Elemente treffen auf moderne Ideen und verschmelzen zu einem Rollenspiel-Diamanten.

Bei Chained Echoes stimmt einfach fast alles. Die Geschichte überrascht immer wieder mit Wendungen, es sieht toll aus, der Soundtrack von Eddie Marianukroh überzeugt und natürlich könnt ihr die Hunde streicheln. Nein, das Spiel ist nicht perfekt, aber fast. Ein paar kleine Makel finden sich. Sehr selten verirren sich englische Textschnipsel in die deutsche Fassung vom Spiel, ihr habt keine Möglichkeit Erklärungen nachzulesen und das Auto-Save funktionierte bei mir leider nur in den ersten Spielstunden. Seitdem hängt es in einem Tempel fest. Diese Kleinigkeiten sind nichts, was ein Patch nicht noch ausmerzen könnte.

Bildquelle: Beitragsbild PR Hound / Matthias Linda, eigene Screenshots aus dem Spiel Chained Echoes (PC-Version)

Offenlegung: Das Spiel wurde kostenlos zur Verfügung gestellt.

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Siehe auch

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Chained Echoes Overdrive System

In den Kämpfen von Chained Echoes spielt das Overdrive System eine zentrale Rolle. Vor allem …

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Chained Echoes – Der Anfang, nicht das Ende

Beginn des Spiels Euer Abenteuer beginnt im Bett. Eure Mutter weckt euch. Anschließend könnt ihr …

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